Carsharing Car2go: So funktioniert das Erfolgsmodell (2024)

Der trostlose Flachdachbau im Sechziger-Jahre-Look lässt nicht erahnen, dass sich im Hinterhof des Grundstücks zwischen Görlitzer Bahnhof und Schlesischem Tor eine Parkgarage verbirgt. Und noch weniger vermutet man, dass in der obersten Etage die Heinzelmännchen von Berlin residieren: Hier ist nämlich die Einsatzzentrale des Car2go-Service-Teams beheimatet. Dicht an dicht stehen weiß-blaue Smart, an denen etwas auszutauschen oder zu reparieren ist. Bei aktuell 55.000 Berliner Car2go-Nutzern und über 22.000 Mietvorgängen pro Woche fällt einiges an, was in Schuss zu bringen ist - Scheibenwischer wechseln, Scheinwerfer- oder Bremslicht austauschen, Batterie laden, Reifendruck prüfen oder Waschwasser nachfüllen.

"Insgesamt gehen die Kunden sehr sorgfältig mit den Fahrzeugen um", sagt Yener Retzlaff, Chef des Service-Teams. Schäden wie Kratzer und Beulen kommen zwar vor, liegen aber im "grünen Bereich" (Retzlaff), und Unfälle gibt es selten. Die Service-Werkstatt von Car2go im Herzen von Kreuzberg hat Platz für 25 Smart, ein eigenes Ersatzteillager und sogar eine Waschbox, damit die Autos wieder tiptop auf die Straße kommen. Das simple Bewertungssystem zur Beurteilung der Sauberkeit innen und außen hat sich im Carsharing-Alltag bewährt: Kommt bei Anmietung die Rückmeldung, der Zustand lasse zu wünschen übrig, geht über das Flottenmanagement automatisch ein Reinigungs-Auftrag an die Truppe von Yener Retzlaff. "Auch wenn ein Auto ständig positive Bewertungen bekommt, wird turnusmäßig spätestens nach 14 Tagen eine Reinigung innen und außen durchgeführt", so Retzlaff.

Car2go nimmt die Angst vor leerem Tank

Sein 30-köpfiges Team ist bunt gemischt: Techniker, Mechatroniker, Telematik-Fachleute und Service-Kräfte, die für die Wagenpflege zuständig sind. Diese sind aber auch in der Lage, kleinere Reparaturen wie etwa einen Sicherungswechsel am jeweiligen Einsatzort zu erledigen. Auch ums Tanken kümmern sich die Car2go-Service-Mitarbeiter an allen Standorten. Ist der Kraftstofftank kurz vor Reserve, wird dies automatisch in einen Tankauftrag umgewandelt. Das funktioniert auch bei alternativen Antrieben, etwa wenn der Ladezustand der in Stuttgart eingesetzten E-Smart einen bestimmten Prozentsatz unterschritten hat. Wie das möglich ist? Die Autos zum Mitnehmen haben ein Steuergerät an Bord, das diese Daten aus dem CAN-Bus ausliest und über die SIM-Karte weitertransportiert. Bei jedem Mietende werden Kraftstoffstand und Ladezustand der Bordbatterie abgefragt.

Die Service-Crew arbeitet in zwei Schichten von acht bis 22 Uhr, für die Nachtstunden und das Wochenende sind Notfallnummern eingerichtet. Martina Schutz ist seit einem Jahr dabei. Im Gepäckfach des Smart, mit dem sie in der Zentrale startet, steht ihre Erste-Hilfe-Tasche. "Da ist alles drin, was man so auf den Auftrags-Touren benötigt", sagt die 41-Jährige. Gemeint sind Glühlampen, Sicherungen, Schraubendreher, Schlüsselanhänger, Kunststoffpflegemittel, Reinigungstücher und und und. "Im Winter auch noch jede Menge Eiskratzer, denn die verschwinden regelmäßig aus den Autos", meint Schutz. Die Aufträge werden ihr – wie allen Kollegen – vom Flottenmanagement auf das Dienst-Smartphone zugeteilt.

Ist sie schon zu lange unterwegs, oder ist es zu weit bis zum nächsten Standort, kann sie den Auftrag freischalten, und ein anderer Kollege übernimmt. "Pro Tag erledigt jeder von uns etwa acht bis zehn Einsätze", berichtet die Berlinerin. Eine halbe bis eine Stunde werden pro Auto benötigt. Mit dem jeweils fit gemachten Smart steuern die Helfer dann den Standort des nächsten Exemplars an, das auf der Auftragsliste steht. "Dabei kommen jeden Tag pro Mitarbeiter ungefähr 100 Kilometer im Stadtverkehr zusammen", so Schutz.
Ihr Kollege Mikail Camöz ist seit dem Berliner Car2go-Start im April vorigen Jahres Service-Mitarbeiter. Der 26-Jährige ist der Telematik-Spezialist im Team und wird deshalb vorzugsweise zu Autos geschickt, bei denen Nutzer Probleme mit dem System gemeldet haben. Ihn erstaunt und amüsiert immer wieder, was die Nutzer alles in den Autos vergessen. "Fundsachen im Fahrzeug kommen häufiger vor als falsches Parken", berichtet er. Laptops, Einkaufstaschen, Geldbeutel, Smartphones, Schlüssel, Schmuck – die Liste ließe sich beliebig weiterführen.

Selbst ein Kleinkind im Kindersitz blieb in Berlin einmal im Auto – das war ein interessanter Fall für das Car2go-Callcenter, und der kam so: Die Mutter hatte schnell etwas erledigen wollen. Und sie hatte die Smart-Miete nicht unterbrochen, wie in solchen Fällen möglich, sondern – wohl, um Kosten zu sparen – diese beendet. Böse Überraschung, als sie zurückkehrte: Das Auto war im Service-Modus und nicht mehr zu öffnen, denn der Tank stand auf Reserve. Ein Notruf an das Car2go-Callcenter mobilisierte sofort einen Techniker, der Mutter und Kind aus der misslichen Lage befreite.

Kooperation mit Behörden ist gut

Dienstleister für Car2go ist das Bosch-Communication-Center in der Charlottenburger Schillerstraße. Was wenige wissen: Bosch baut nicht nur Autoteile und Kühlschränke, sondern hat auch den Geschäftsbereich Sicherheitssysteme GmbH mit Sitz in Magdeburg, der wiederum das Berliner Communication-Center mit 220 Mitarbeitern betreibt. Die Car2go-Mannschaft zählt 35 Leute, die den gesamten deutschsprachigen Raum in Europa und auch Mailand betreut. Wieso ausgerechnet eine Stadt in Italien? "In Berlin ist es kein Problem, italienische Muttersprachler als Mitarbeiter zu finden", sagt René Müller, bei Bosch für den Kunden Car2go zuständig. Hilfesuchende Nutzer bräuchten keine Sprachhürden zu überwinden. Weil Niederländer in Berlin Mangelware sind, werden die Carsharing-Standorte Amsterdam, Birmingham und London von der Bosch-Communication-Center-Niederlassung in Nijmegen versorgt.

Das Berliner Callcenter arbeitet rund um die Uhr. Rund 23.000 Anrufe gehen dort pro Monat ein. Die meisten Fragen werden zur Bedienung des Smart gestellt, obwohl eine kurze, aber leicht verständliche Anleitung in jedem Auto zu finden ist. "Der Klassiker ist, dass Nutzer Probleme haben, die Heckklappe zu öffnen, weil erst das Heckfenster geöffnet werden muss", sagt René Müller. Der zweithäufigste Grund, warum Kunden anrufen, sind Schadenmeldung oder Rückfragen zu Beschädigungen. Die Störanfälligkeit der Flotte halte sich aber im Rahmen der Erwartungen.

Zuweilen ruft auch die Polizei an. So befürchtete ein Ordnungshüter in Berlin Diebstahlgefahr, weil er den Zündschlüssel in einem der Smart entdeckt hatte – der gute Mann hatte sich wohl noch nie mit dem Funktionsprinzip der Autos zum Mitnehmen befasst. Und ein Polizist aus Hamburg, den ein Car2go beschäftigte, das eine Baustellenausfahrt blockierte, wollte wissen: "Kann man den wegtragen?" Die pragmatische Antwort: "ja" – auf den Abschlepper zu warten hätte zu lange gedauert.
Probleme, die nicht ad hoc vom Callcenter zu lösen sind, gehen an das zentrale Flottenmanagement, das ebenfalls in Berlin angesiedelt ist. Die derzeit fünfköpfige Truppe kümmert sich um Flottenverwaltung, Auftragsvergaben und vieles mehr, damit alles läuft wie am Schnürchen.

Das Erfolgsmodell Car2go

Flexibles Carsharing der Marke Car2go gibt es neben Berlin in sechs weiteren deutschen Städten: In Ulm, Hamburg, Düsseldorf, Köln, Stuttgart und München sowie in der Bundeshauptstadt ist eine Flotte von mittlerweile 3.550 Fahrzeugen unterwegs. In der baden-württembergischen Landeshauptstadt sind seit November vorigen Jahres ausschließlich Smart mit Elektroantrieb im Einsatz. Nach nur acht Monaten wurden dort bereits 20.000 Nutzer registriert, eine Million Kilometer im Stadtgebiet absolviert sowie die Flotte zum zweiten Mal auf jetzt 450 Fahrzeuge erhöht. In der österreichischen Metropole Wien ist Car2go mit 600 Smart am Start. Inzwischen ist das flexible Carsharing in 22 europäischen und nordamerikanischen Städten mit 8.500 Fahrzeugen vertreten – darunter mehr als 1.100 mit Elektroantrieb – und hat weltweit mehr als 400.000 Kunden, die bislang zehn Millionen Mietvorgänge absolvierten.

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